Community Lab: 24heures reflektiert über seine Leserschaft und entdeckt sein Zielgebiet neu

Die Tageszeitung 24heures berichtet über den Kanton Waadt und seine Hauptstadt Lausanne. Zu den lokalen Besonderheiten dieses Gebiets zählt die Vielfalt der dort lebenden ausländischen Bevölkerungsgruppen. Es gibt fast 260.000 Menschen, über deren Leben, Interessen und Bedürfnisse nur selten berichtet wird. Im Rahmen der Table Stakes Europe Challenge beschloss das Team von 24heures, sich mit der größten ausländischen Gruppe in seinem Gebiet, den Portugiesen, näher zu befassen.

Interview mit Pascale Burnier, stellvertretende Chefredakteurin, 24heures.

Würden Sie uns erläutern, wie Sie die Zielgruppen für Ihre Table Stakes Challenge ausgewählt haben und warum Sie beschlossen haben, sich mit der portugiesischen Gemeinschaft eingehender zu beschäftigen?

Pascale Burnier: Bei der Auswahl der Zielgruppen sind wir in erster Linie unserem Instinkt gefolgt. Die Identität von 24heures und das Profil seiner Leser haben uns veranlasst, uns zum einen auf die Fans von Gastronomie und Terroir zu konzentrieren. Wir wussten, dass diese Inhalte über ein gutes Potenzial verfügten, das sich noch weiter ausbauen ließ. Auch bei der Zielgruppe lag die Wahl auf der Hand, denn wir waren bereits ein beliebtes Medium für Familien und wollten diese Zielgruppe noch besser bedienen.

Bei der portugiesischen Community war unser Ansatz ein anderer, und es ist selbst jetzt noch schwer einzuschätzen, ob er funktionieren wird. Aber wir wollten etwas Neues ausprobieren, um neue Leser zu finden oder bestimmte Internetnutzer an uns zu binden. Wir wollten auch zeigen, dass wir uns für die Menschen interessieren, die hier leben, deren Lebenswirklichkeit, Bedürfnisse und Fragen von den Medien aber meist vernachlässigt werden.

Wie haben Sie das Potenzial dieser Zielgruppe ermittelt und was waren Ihre ersten Erkenntnisse über die Erwartungen dieser Community?

Burnier: Bei zwei oder drei Gelegenheiten haben wir festgestellt, dass Artikel über die in unserer Region lebenden Portugiesen eine beeindruckend hohe Zahl von Aufrufen verzeichneten. Um das Potenzial zu überprüfen, haben wir Statistiken zu Rate gezogen, die uns bestätigten, dass sie die größte ausländische Gruppe in unserem Kanton bilden. Der Ausländeranteil in unserem Kanton beträgt 33,5 %, d.h. etwa 260.000 Personen, wobei die Portugiesen mit über 60.000 Personen in der Mehrheit sind.

Da wir keine Umfrage speziell unter Portugiesen durchführen konnten, haben wir uns auf informelle Interviews mit Menschen portugiesischer Herkunft gestützt. Die beiden Journalisten, die in unserem „Community Lab“ arbeiten, haben deshalb Profile von Portugiesen, die hier leben, erfasst und die Menschen kontaktiert, um mehr über ihre Erwartungen, ihren Informationskonsum und ihre Bedürfnisse als Mitglieder dieser Gemeinschaft herauszufinden.

Die Resonanz auf die Studie war sehr positiv. Die Leute fühlten sich gut und geschmeichelt, weil wir uns für sie interessierten. Uns hat dies bestätigt, dass diese Menschen mehr Inhalte speziell über ihre Gemeinschaft lesen möchten.

Bei anderen Zielgruppen kann man auf Bestehendem aufbauen: eine bereits identifizierte Gruppe von Lesern, Fans eines bestimmten Themas, über das häufiger berichtet wird. Aber in Ihrem Fall ist es gar nicht so einfach, Ihr Publikum zu erreichen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Burnier: Das stimmt, und es ist eine große Herausforderung für uns! Wir hoffen, dass diese Zielgruppe durch die regelmäßige Veröffentlichung von Inhalten über sie nach und nach merkt, dass unsere Journalisten an sie denken. Wir verlassen uns also ein Stück weit auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir haben schon einige Rückmeldungen von Portugiesen erhalten, mit denen wir gesprochen haben und die ihrerseits anderen Mitgliedern der Community von unserer Arbeit erzählt haben.

Aber das ist nicht genug. In einem aktiveren Ansatz versuchen wir, diese Menschen über die sozialen Netzwerke anzusprechen. Wir haben Facebook-Gruppen von hier lebenden Portugiesen ausfindig gemacht, die sehr aktiv sind und fast 160.000 Follower haben. Es gibt auch ein Instagram-Konto mit 17.000 Followern. Außerdem haben wir in dieser Gruppe „Meinungsbildner“ oder Influencer ausgemacht. Wenn wir also Inhalte haben, die für diese Zielgruppe relevant sind, tun wir zwei Dinge. Zunächst bewerben wir diese Inhalte über Facebook und bezahlen dafür, dass diese Werbung auf den Profilen der Zielpersonen erscheint. In diesem Fall sind es bei uns ansässige Portugiesen. Danach erstellt unser Spezialist für soziale Netzwerke einen maßgeschneiderten Ansatz, um genau diese Zielgruppe zu erreichen. So folgt er beispielsweise mehreren Gruppen von Portugiesen, die über die Seite von 24heures identifiziert wurden. Wenn er kann, setzt er einen Link zu dem von uns veröffentlichten Artikel. Er postet natürlich einen Beitrag auf der Facebook-Seite von 24heures und einen auf dem Instagram-Account der Zeitung. Was wir anstreben ist, dass die große portugiesische Gemeinde auf Instagram Inhalte von 24heures weiterverbreitet. Mit der Untersuchung zur portugiesischen Gemeinschaft ist genau das neulich passiert. Genau solche kleinen Dinge werden uns weiterhelfen. Wir fangen an, Beziehungen zu dieser Zielgruppe aufzubauen. Ein letzter Punkt: Unser Netzwerkspezialist verfolgt auch thematische Diskussionen auf Facebook. Wenn er feststellt, dass die Leute über Themen diskutieren, die wir behandelt haben, kommentiert er sie und ermutigt die Leute, sich unsere Artikel anzusehen.

Wer ist bei 24heures an diesem Abenteuer beteiligt und wie organisieren Sie sich? Haben Sie Ihre redaktionelle Produktion angepasst?

Burnier: Unser Community Lab besteht aus zwei Journalisten, einem Spezialisten für digitalen Vertrieb und Lesermarkt, unserem Netzwerkmanager und mir selbst.
Wir treffen uns mindestens alle zwei Wochen, sprechen über Inhalte und überlegen, wie wir unsere Ziele erreichen können. Wir versuchen, jede Woche einen Artikel über die portugiesische Gemeinschaft zu veröffentlichen. Dank unseres Table Stakes Coaches haben wir auch eine Partnerschaft mit dem Lissabonner Medienunternehmen Mensagem de Lisboa aufgebaut. Wir übersetzen regelmäßig Artikel von ihnen und veröffentlichen sie auf unserer eigenen Website, mit einer Erklärung zu dieser Partnerschaft. Durch die Kombination all dieser Maßnahmen können wir die uns selbst gesetzte Veröffentlichungsrate mehr oder weniger einhalten!

Sie haben kürzlich mit einer Umfrage zur Vorstellung der Portugiesen im Kanton Aufsehen erregt, was sind die Ergebnisse?

Burnier: Die Ergebnisse dieser eingehenden Untersuchung wurden in einem langen Webformat und auf vier Seiten in der Tageszeitung behandelt. Wir haben der Webstrategie viel Aufmerksamkeit gewidmet und die Inhalte auch über mehrere Tage hinweg hervorgehoben. Es war ein echter digitaler Erfolg!

Das Thema hatte 26.000 Seitenaufrufe (was bei uns für eine Story sehr viel ist). Aber noch wichtiger und sehr ermutigend ist, dass dieses Thema im September relativ betrachtet die meisten Abos generiert hat mit einer Konversionsrate von 5,7 %, die weit über derjenigen der anderen Artikel lag. Eine weitere sehr interessante Tatsache ist, dass wir unter den Besuchern, die dieses Artikels wegen auf unseren Seiten gelandet sind, 51 % neue Leser verzeichnet haben. Was die Projekte anbelangt, so haben wir mehrere Artikel in Arbeit. Und vor allem nehmen wir uns jetzt auch andere Gruppen vor. Unser künftiges Projekt, das demnächst veröffentlicht wird, beschäftigt sich mit Lebensmittelgeschäften, die von Waadtländerinnen und Waadtländern aus vielen verschiedenen ethnischen Gruppen betrieben werden, mit Tante-Emma-Läden, die sieben Tage die Woche geöffnet sind und uns abends oder sonntags das Leben retten.

Der erste, eher soziologische Teil stellt diese Geschäfte als interessante Orte zur Entdeckung anderer Kulturen und ihrer Gastronomie vor. Aber sie sind mehr als das, denn den ausländischen Mitbürgern dienen sie auch als Treffpunkte. Und nicht zuletzt sind sie Werkzeuge der Integration.

In einem zweiten Teil werden wir diese Lebensmittelhändler, oft echte Persönlichkeiten aus dem Viertel, porträtieren. Ein dritter Teil schließlich, steht unter dem Motto „Rezepte von anderswo“. Wir werden lokale „Prominente“ treffen, Menschen, die das Leben in ihrer Community aktiv mitbestimmen, denen man zuhört und denen man (eventuell auch in den sozialen Netzwerken) folgt. Wir werden sie bitten, ein Gericht aus ihrem Herkunftsland zuzubereiten. Die Journalisten unseres anderen Mini-Publisher-Teams, das wir intern „La petite entreprise gastronomie & terroir“ nennen, werden uns dabei helfen, diese Interviews zu führen.

Wenn Sie von einem Team, das sich mit der portugiesischen Community befasst, zu einem Community Lab wechseln, das sich für alle Gruppen interessiert, haben Sie dann nicht Angst, Ihre Bemühungen zu „verwässern“ und Ihre Ziele aus den Augen zu verlieren?

Burnier: Wir haben beschlossen, ein Community Lab zu werden, weil wir finden, dass wir es auf Dauer nicht verantworten können, uns nur auf eine ausländische Gruppe zu konzentrieren. Die Idee war immer, mit der portugiesischen Community zu beginnen, weil sie die größte ist, aber wir wollten die anderen darüber nicht vergessen. Derzeit haben wir zum Beispiel ein Projekt über die Italiener. Daneben suchen wir auch nach gemeinschaftsübergreifenden Themen, wie z. B. diese Lebensmittelgeschäfte.

Der neue Name des Community Lab hat uns auch ermutigt, über die Nationalitäten hinaus zu denken. Zum Beispiel zu reflektieren, wie wir mit Geschlechterfragen umgehen. Die Gefahr besteht natürlich darin, den Begriff der „Community“ zu weit zu fassen und uns darin zu verlieren. Der große Vorteil unseres Labs ist jedoch, dass wir diese Zielgruppen im Auge behalten und versuchen, sie für unsere Marke zu gewinnen.