Investigativ-Dokumentationen helfen DC Thomson, Zielgruppen zu erreichen und die Zahl der Abos zu erhöhen

Bei ihrer Teilnahme an der ersten Runde von Table Stakes Europe im Jahr 2019 machte die schottische Gruppe bei der Umstellung ihrer Redaktion von der Print- zur Digitalfokussierung einen großen Fortschritt. Sie begann, sich in die Mini-Publisher-Perspektive zu versetzen, was dem Unternehmen beim Aufbau einer leistungsfähigen Investigativabteilung geholfen hat.


Kurzinfo: DC Thomson ist in Dundee, Schottland, ansässig und ein Verlag, der vier Tages- zeitungen herausgibt: The Press and Journal, Evening Express, The Courier und The Evening Telegraph sowie Zeitschriften und Radiosender.


Die Aufgabe: Verinnerlichung des Konzepts des Mini-Publisher-Teams zur Aufwertung des eigenen Journalismus

Zeitsprung zu Ende 2022: Das Mini-Publisher-Team- Konzept von Table Stakes ist den Redaktionen in Fleisch und Blut übergegangen. Hier erörtert Richard Prest, Leiter des Bereichs Content Development bei DC Thomson Media, einige der Inhalte und macht deutlich, wie dies hilft, Zielgruppen einzubinden, bestehende Abonnenten zu halten und neue zu werben.

Prest zufolge ist die Schulung und Entwicklung des Teams unmittelbar mit dessen Teilnahme an Table Stakes Europe verzahnt.

„Wir können einen unmittelbaren Vergleich zwischen unserer digitalen Transformation vor zwei Jahren und der Lage nach Table Stakes ziehen“, erklärt er.

„Wir haben die Redaktion so umgestaltet, dass der Mini- Publisher-Team-Ansatz übernommen wurde. Als Teil dieser Transformation richteten wir ein Team für Con- tent-Entwicklung ein, das ich leite.“ Das Team umfasst sieben Journalisten und beinhaltet ein Investigativteam, ein Datenteam und einen Redakteur für Sonderprojekte.

Prest beschreibt das Ziel so: „Der Versuch, unseren Inhalt auf neue Formate zu erweitern, andere Zielgruppen zu erreichen und unseren Journalismus von Grund auf zu hinterfragen. Wir bringen das Projekt kontinuierlich weiter.“

Zu diesem Zweck hat das Team eine Reihe verschiedener Projekttypen – von visualisierten Daten über detaillierte Ermittlungen bis zu drei großen Investigativ-Videodokumentationen – zusammengestellt.

Entscheidungen: Storyformat, Planung und Entwicklung

Zu Beginn jeder umfassenden Recherche ist zunächst das richtige Format der Story festzulegen, die erzählt werden soll. „Wenn sich eine Story unseres Erachtens am besten für Datenvisualisierung eignet, dann präsentieren wir unsere Story auch dementsprechend“, macht er deutlich.

„Wirkt eine Story dagegen am besten in visueller Form, dann machen wir es eben so.

In bestimmten Fällen gibt es Storys, bei denen man gleich weiß, dass sie eine Videodokumentation sinnvoll machen. Eine solche Darstellung ruft das größte Echo bei unserer Zielgruppe hervor. Sie ist die beste Möglichkeit, diese Story zu erzählen.“

DC Thomson hat im letzten Jahr drei Investigativ-Dokumentationen in Spielfilmlänge zusammengestellt. Alle Projekte waren mit einer intensiven Zusammenarbeit mit den AV- und Grafikteams des Unternehmens verbunden.

Der Titel der ersten Dokumentation lautete: „Missing from the Broch: The disappearance of Shaun Ritchie“. Darin ging es um einen 20 Jahre alten Mann, der 2014 verschwand, als er mit einer Gruppe von Freunden zu einer Halloween-Party in einem abgelegenen Bauernhaus aufbrach.

Kurz nach der Veröffentlichung gab DC Thomson bekannt, dass der 40-minütige Dokumentarfilm ein Rekordengagement erreicht hatte. Nahezu 1000 Personen registrierten sich für The Press and Journal und damit ihre regionale Tagesausgabe für Nordschottland, um das Video in den ersten zehn Tagen sehen zu können.

„Missing from the Broch“ war zwar nur für Abonnenten abrufbar, aber auch durch Abschluss eines 30-tägigen kostenlosen Testzeitraums.

Im Mai 2022, rund sechs Monate später, veröffentlichte DC Thomson eine weitere umfassende Investigativ-Dokumentation mit dem Titel „A Short Walk Home“. Gegenstand war das Verschwinden des 23-jährigen Allan Bryant Jr. in den frühen Morgenstunden des 3. November 2013, nachdem er einen Nachtklub weniger als 1,6 km von seinem Zuhause verlassen hatte. Die Dokumentation wurde für die in Dundee ansässige regionale Tageszeitung The Courier von DC Thomson produziert.

Prests Team verbrachte viel Zeit damit, mit den Familien der Männer und polizeilichen Ermittlern zu sprechen, um ein besseres Verständnis dafür zu erhalten, was die- sen Männern widerfuhr und was getan werden könnte, um ihren Angehörigen endlich Gewissheit zu verschaffen.

„Es war wichtig, dass wir bei diesen Dokumentationen zuerst eng mit den beteiligten Familien zusammenarbeiteten“, stellt er klar. „Und in unseren Verbreitungs- und Lesergebieten sind wir die lokalen Medien, sodass man auf unseren Qualitätsjournalismus vertrauen muss. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass wir nicht einfach an einer Dokumentation arbeiten und dann wieder verschwinden.“

Neben den Gesprächen fließt sehr viel Arbeit in die Planung und Entwicklung solcher Dokumentationen.

„Wir sind eine Lokalzeitung, weswegen langwierige Recherchen nicht das sind, wofür man zumeist die benötigten Ressourcen und Zeitfenster zur Verfügung hat“, betont Prest. „Doch im Rahmen des Umbaus der Redaktion wollten wir wirklich einige dieser Ressourcen abkoppeln und eine kleine Zahl von Reportern aus ihrem Tagesgeschäft herausnehmen, um sicherzustellen, dass sie Zeit für diese Recherchen haben.“

Das kann insbesondere für Verlage herausfordernd sein, die nicht die Ressourcen großer nationaler Tageszeitungen besitzen.

Als die Dokumentationen abgeschlossen waren, führte DC Thomson umfassende Marketingkampagnen durch, um diese – neben E-Mail- und Social-Media-Aktionen – in ihren Publikationen zu bewerben. Eine 40-minütige Investigativ-Dokumentation stellt für die meisten tradi- tionellen Nachrichtenverlage keinen normalen Content dar. Die Kampagnen wurden so gestaltet, dass die Ziel- gruppe vor dem Klick auf „Wiedergabe“, wusste, was sie erwartete.

„Missing from the Broch“ und „A Short Walk Home“ wurden jeweils am Sonntagabend um 20 Uhr veröffentlicht. Eine dritte Dokumentation mit dem Titel „The Hunt for Mr. X“, die sich mit der Flucht und dem Verschwinden des führenden Kopfes hinter einem 100 Millionen Pfund umfassenden Kokainverbrechen aus dem Jahre 1991 in den schottischen Highlands befasste, wurde Mitte November 2022 und damit zeitgleich mit unserem Abschluss dieses Berichts veröffentlicht.

Ein Playbook hilft, Erkenntnisse auf das nächste Projekt zu übertragen

Das DC Thomson-Team hat durch die Produktion von „Missing from the Broch“, deren Kniffe es auch auf „A Short Walk Home“ anwenden konnten, enorm viel gelernt. Laut Prest war das Playbook bei der Produktion von „Missing“ eine große Hilfe.

„Einer der großen Pluspunkte von Table Stakes bestand darin, dass wir immer dazu ermutigt wurden, in Bezug auf unsere Vorgehensweise Playbooks und Vorlagen zu erstellen, sodass wir Verfahren und Prozesse fortwährend wiederholen und verändern konnten“, führt er aus.

Videodokumentationen sind äußerst zeit- und ressourcenaufwendig, sodass das Team effektiv arbeiten musste.

„Bei diesem Prozess haben wir gelernt, dass wir möglichst viel vorab tun müssen“, so Prest weiter. „Man bemüht sich erst um die Planung und arbeitet dann daran, das Puzzle zusammen- zusetzen

und die wichtigsten Elemente der Story heraus- zuarbeiten. Wichtig sind auch die voraussichtliche Art der Gespräche und ihr Zeitpunkt. Alles ist so beschaffen, dass Aufnahmen und Bearbeitung so effektiv wie möglich vonstattengehen.“

Zu den dynamischen Komponenten für eine bessere Wirksamkeit zählen:

  • Schaffung eines Story-Bogens für die Dokumentation mit klarem Anfang, Mittelteil und Ende
  • Gespräche mit Familien, Freunden, Zeugen und Ermittlern
  • Besuche vor Ort, damit die Zielgruppe sehen kann, wo sich die Ereignisse zugetragen haben
  • Umfassende Bearbeitung

Nach der Fertigstellung von „Missing from the Broch” setzten sich Prest und sein Team zusammen und ließen Revue passieren, was sie getan hatten, was gut funktionierte und was besser gemacht werden könnte. Das wurde schließlich zu ihrem Playbook.

Mit einem bei Filmproduktionen üblichen Darstellungsverfahren mit der Bezeichnung „Storyboarding“ skizzierte Prests Team die Dokumentation mit den AV-Spezialisten von DC Thomson weitestgehend im Voraus – insbesondere im Hinblick auf Anfang, Mittelteil und Ende.

„Besonders schwierig war für uns, den tatsächlichen Ablauf der Ermittlungen in ein Storyboard zu bringen“, macht er deutlich. „Wie sollen diese Ermittlungen dargestellt werden, damit wir alles vorab in dem Wissen präsentieren, welches Ergebnis zu erwarten ist?

Als die verschiedenen Einzelszenen gedreht wurden, verfeinerte das Team die Timeline der Dokumentation weiter. „So konnten wir Lücken in der Kontinuität ausmachen und erkennen, was noch zu tun war“, hebt Prest hervor. „Das Grafikerteam und unser Datenteam erkannten sofort, wann sie eine Karte und eine Visualisierung der Daten benötigten.“

Prest fährt fort: „Im Laufe des Prozesses wurde ihnen bewusst, dass eine bestimmte Person erforderlich war, die die Federführung über- nahm und in der Lage war, alles zu ordnen, damit sechs Monate später bei Veröffentlichung niemand sagen konnte, dass etwas vergessen wurde. Weil es schwierig ist. Es kann wirklich komplex sein, am Ende alles nahtlos zusammen- zufügen.“

Ergebnis: Umfassende Einbindung der Zielgruppe, langfristiger Abo-Katalysator

Der Aufwand des Investigativteams führt zu beeindruckenden Ergebnissen und ist dauerhaft.

„Missing from the Broch“ brachte besonders erstaunliche Ergebnisse. „Wir haben festgestellt, dass 60 % der Personen, die sich die Dokumentation ansahen, 90 % davon konsumierten. Außerdem war sie 40 Minuten lang“, so Prest weiter. „Folglich war das Engagement wirklich umfassend.“

Noch wichtiger aber ist, dass diese Projekte ihm zufolge eine lange Lebensdauer haben müssen, zumal sie mit einem großen Zeitaufwand verbunden sind.

„Was uns noch mehr gefiel als die große Zahl von Abos, die wir mit der ersten Dokumentation erzielten, ist die Tatsache, dass sich selbst ein Jahr später noch immer Personen für den Abruf beider Produktionen registrieren.“

Prest zufolge traf das auch auf frühere Recherchen aus den letzten Jahren zu, bei denen es sich um keine Videos, sondern um Beiträge in Spielfilmlänge handelte. Dabei hält er fest, dass einer dieser Beiträge vor mehr als zweieinhalb Jahren veröffentlicht wurde.

„Noch immer werden Abos abgeschlossen. Und das ist wichtig für uns: Wir schaffen zeitlose Inhalte, die auch einige Zeit später für die Zielgruppe attraktiv bleiben. Das wertet die Abos erneut auf.

Die meisten dieser Beiträge liegen hinter einer harten Bezahlschranke. Denn wir wollen sagen: ‚Schauen Sie selbst – mit Ihrem Abo bekommen Sie diese inhaltliche Qualität
und Tiefe auf unseren Websites.‘“

Vor kurzem gab DC Thomson bekannt, dass die Digitalabos für ihre täglichen Nachrichtenmarken 25.000 überschritten hatten – 18 Monate nachdem das ehrgeizige Projekt für den Aufbau eines neuen und nachhaltigen Modells für lokalen Journalismus gestartet worden war.

Bei der Ankündigung wurde ebenfalls erklärt, dass The Courier bei den Scottish Press Awards im September mit dem Titel „Website of the Year“ und The Press and Journal mit dem Titel „Daily Newspaper of the Year“ aus- gezeichnet wurde.

Obwohl Investigativ-Dokumentationen in Spielfilmlänge für bestimmte Verlage nicht infrage kommen, hat DC Thomson ohne Frage etwas angestoßen, das nahezu jeder Verlag nutzen kann: die großen Storys aus dem Archiv neu aufrollen, die Menschen in ihrem Markt nicht vergessen und von Zeit zu Zeit wieder aufgreifen.

Richard Prest sagt: „Man braucht sich wirklich nicht dafür zu schämen, diese Storys wieder aufzuwärmen, die wir vor 30 Jahren herausgebracht haben, wenn die Ge- schichte spektakulär genug ist. … diese alte Story können wir auf neue Weise erzählen.“

„Bei dem, was wir machen, geht es stark um Bindung. Wir stellen sicher, dass die Abonnenten bleiben und in ihrem Abo einen Mehrwert sehen. Die Markenbauer zeigen potenziellen Abonnenten aber auch, dass wir Journalismus schaffen, der ein wenig anders ist.“

Er betont, dass Investigativ-Inhalte dazu beitragen können, Mitarbeiter einzustellen, und ihnen die Möglichkeit zu schaffen, an einer fundierten und inhaltsreichen Story zu arbeiten – statt in einem Rahmen, wo 15 Storys pro Tag erwartet werden.

Bei der Zusammenfassung der Erfahrungen von DC Thomson mit Investigativ-Dokumentationen greift Prest eine wichtige Erkenntnis aus Table Stakes auf: „Dinge dürfen schiefgehen, solange man ihnen auf den Grund geht und nach dem Warum fragt bzw. wie sie verändert und korrigiert und nächstes Mal besser gemacht werden können. Und nach meiner Einschätzung hat sich die Redaktion jetzt wirklich auf diesen Prozess eingestellt. Wir feilen einfach immer weiter daran.“