Rheinische Post: Wie sich ein regionaler Gigant mit „Babyschritten“ von der Konkurrenz absetzt

Die Rheinische Post ist eine große und einflussreiche Mediengruppe im Rheinland im Westen Deutschlands und ein Gigant der Region. Ihr wichtigster Titel begann seine zielgruppenorientierte Teilnahme an TSE mit einem Cluster digitaler Inhalte für werdende Eltern mit dem Titel „Willkommen, Baby!“. Die Aktion erwies sich als Revolution und bescherte dem Verlag im Rahmen seiner digitalen Transformation einen Quantensprung.


Kurzinfo: Die Rheinische Post Mediengruppe ist ein großer regionaler Medienkonzern mit vier Zeitungen in Westdeutschland. Sonstige Aktivitäten umfassen Beteiligungen an Radiosendern, Zeitungsteile mit Kleinanzeigen, Druckdienste, Callcenter, Transport und Logistik. Die Flaggschiffzeitung der Gruppe, die Rheinische Post selbst, wurde 1946 gegründet. Sie deckt eine Region mit vier Großstädten, darunter Düsseldorf, ab. Die RP beschäftigt 260 Journalisten und druckt 19 lokale Ausgaben. Sie ist die auflagenstärkste Zeitung im Rheinland mit 225.000 Abonnenten, einschließlich 50.000 Digitalabonnenten. Davon haben etwa die Hälfte die elektronische Version abonniert – statt des Digitalabos RP+. Insgesamt verzeichnet die 25 Jahre alte Website pro Monat 10 Millionen Einzelzugriffe.


Die Aufgabe: Echter Übergang von redaktionsorientierten Inhalten zu nutzerorientiertem Qualitätsjournalismus

Schon zu Beginn der Table Stakes-Aufgabe war dem Team klar, dass RP zwar ein regionaler Print-Gigant war, dessen digitale Marke aber einer Aufwertung bedurfte.

Die Crux bei der Aufgabe bestand darin, die Wirkung, das Vertrauen und die Treue, die das Haus bislang genoss, vom Print- auf den Digitalbereich zu übertragen. Ebenso räumte das Team eingangs ein, dass sich im Unternehmen nicht alle sicher waren, ob der Großteil der aktuellen Leserschaft bereit war, seine Gewohnheiten zu ändern und für digitale Nachrichten zu zahlen.

Das siebenköpfige Team vereinigte unterschiedliche Kompetenzen, darunter die Bereiche Redaktion, Daten, Produkt und Marketing. Das Team baute darauf, dass die journalistischen Inhalte der RP lokal und regional von Bedeutung waren. Einige Online-Tests hatten das Potenzial für die Steigerung der Online-Einnahmen aufgezeigt. Ein neues zahlungspflichtiges Angebot hatte recht gut funktioniert. Doch obwohl die Journalisten sowohl im Print- als auch im Digitalbereich tätig waren, waren die meisten Arbeitsabläufe printfokussiert.

Der Mangel an zielgerichteten Inhalten für bestimmte Zielgruppen war ein offensichtliches Manko. Welche Inhalte hinter die Bezahlschranke platziert werden sollten, war mit vielen Fragen verbunden. Im Hinblick auf das Benutzererlebnis war der RP ebenfalls bewusst, dass der Weg zum Abo einer drastischen Verbesserung bedurfte.

Das RP-Team wusste von Anfang an, dass es von einem produktzu einem zielgruppenorientierten Journalismus übergehen und den Erfolg nicht länger dem Zufall überlassen, sondern dadurch erreichen wollte, dass es Bedürfnisse, Probleme, Interessen und Vorlieben von Lesern versteht und berücksichtigt.

Ebenso war die RP bereit, eindeutige quantitative Ziele festzulegen. Unter anderem sollten 2,7 von 3 Millionen Einwohnern im Einzugsgebiet (90 % Marktdurchdringung) erreicht und 250.000 Abonnenten bedient werden.

Entscheidungen: Auch eine kleine, ja sogar sehr kleine Zielgruppe kann einen Anfang darstellen

Das Team der RP hatte mehrere besondere Zielgruppen ins Auge gefasst und führte einige Tests durch, beispielsweise mit der Läufer-Community und Teilnehmenden einiger lokaler Festivals. Eine Zielgruppe wurde entscheidend: „Willkommen, Baby!“ Angesprochen werden sollten junge Familien oder werdende Eltern.

Zwischen Februar und März 2022 wurden in allen 19 Lokalausgaben rund 100 Artikel veröffentlicht. Der Hauptschwerpunkt lag auf Service-Inhalten („Wie finde ich die richtige Geburtsklinik“), die mit persönlicheren Beiträgen ergänzt wurden, wie Berichte von Eltern zu den ersten 100 Tagen ihrer Elternschaft.

Henning Bulka, Leiter der digitalen Redaktion, erinnert sich: „Die Berichterstattung und die Analyse von Hard News sind für uns seit jeher Routine. Doch sich gezielt darum zu bemühen, die Herzen und Gemüter unserer Leserschaft zu einem bestimmten Thema zu berühren, war Neuland für uns. Der Erfolg derartiger Storys hat mittlerweile dazu geführt, dass sie zum Standardrepertoire für die Berichterstattung für alle Zielgruppen wurden.“

Das Team hat über drei Wochen digitale Inhalte veröffentlicht. Es erreichte damit 25.000 eingebundene Nutzer und generierte 200.000 Seitenaufrufe. 75 % des Datenverkehrs und damit weit mehr als der Durchschnitt der Website war Frauen zuzuschreiben. Mehr als die Hälfte der Leser war zwischen 20 und 40, während Inhalte der RP in der Regel nur ein Drittel ihrer Zielgruppe aus dieser Alterskohorte erreichen.

Der Inhalt erwies sich nicht nur im Hinblick auf die Zielgruppe als wirksam, sondern trug auch dazu bei, das allgemeine Ungleichgewicht bei der Leserschaft zu beseitigen.

Ebenso offenbarten sich hierdurch die Wirkung und das Potenzial, wenn richtig auf die spezifischen Bedürfnisse von Nutzern eingegangen wird, und es entstand eine neue Gemeinschaft eingebundener Nutzer. Im Hinblick auf die Einnahmen zog das Projekt 220 Abos für die elektronische Ausgabe, 26 Konversionen zu 26 RP+ und Werbeeinnahmen von 20.000 Euro nach sich.

Schließlich inspirierte es das Team, im Laufe des Experiments eines seiner „White Papers“, ein digitales E-Book mit den erfolgreichsten Inhalten, zu veröffentlichen, das selbst nach dem offiziellen Ende des Projekts erhalten bleibt.

Ergebnisse: Auf dem Erfolg aufbauen und die Zielgruppe erweitern

Der Erfolg von „Willkommen, Baby!“ hat das Potenzial und die Kraft eines zielgruppenorientierten Qualitätsjournalismus untermauert. Das Team begann mit einer Neuauflage und legte eine breitere Zielgruppe fest: urbane Familien (Details auf der Abbildung auf der vorigen Seite).

Dabei teilte es zielgerichtete Inhalte nach drei Story-Unterarten auf:

  • Storys, die ins Mark treffen (einschließlich Themen wie Wohnen) und wirklich auf das aktuelle Image der RP innerhalb der Zielgruppe zugeschnitten waren
  • Storys, in denen die offensichtlichsten nächsten Möglichkeiten dargelegt werden (z. B. Beziehungen und Familie)
  • Storys, die eine digitale Expansion der Zielgruppe ermöglichen (z. B. Persönlichkeitsentwicklung oder Unterhaltung).

Zielgerichtete Inhalte haben eindeutige Ergebnisse ermöglicht. Immer wenn das RP-Team ein sogenanntes „Fokusthema“ auswählte, stieg die Konversionsrate um 20 %, und der Anteil junger Leser nahm zu, was insbesondere bei der Kampagne „Willkommen, Baby!“ zum Ausdruck kam.

Eine der wichtigsten verbleibenden Herausforderungen im Zusammenhang mit der Akquise war der praktische Weg der Nutzer zur Konversion. Obwohl die User Journey nicht direkt mit redaktionellen Anforderungen zusammenhängt, musste sie drastisch verbessert werden. Dem Marketingteam der RP gelang es, den Checkout-Prozess zu verkürzen, wobei lediglich die E-Mail-Adresse des Nutzers zwingend anzugeben ist.

Das Abo-Angebot wurde klarer erklärt, ohne dass der Testzeitraum zu schnell endet. Außerdem sind alle Abo-Angebote in der nun typischen 3-Spalten-Ansicht auf der Paywall-Zielseite aufgeführt. Das wichtigste Angebot befindet sich in der Mitte! Durch all diese Maßnahmen hat sich die Konversionsrate mehr als verdoppelt. (Weitere Informationen zur Entwicklung der Paywall-Zielseite auf Seite 62).

Da das RP-Team bereits seiner nächsten Herausforderung entgegensieht, betont es, es werde weiterhin neue Mini-Publishing-Teams im Zusammenhang mit wichtigen Zielgruppen aufbauen und schaffen, darunter auch sogenannte „Pop-up“-Zielgruppen wie etwa Urlauber, die am Flughafen Düsseldorf Chaos erleben.

Um schneller auf den „Digital-First“-Umsatz umzustellen, sollen das Layout der Print-Zeitungsseiten vom Zusammentragen und Verfassen von Storys gelöst werden und mehr Ressourcen für digitales Publishing freigemacht werden. Schließlich prüft das Team, ob die RP ihre Zähloptionen neben der Premium-Paywall neu gestalten muss.

 

Leistungen im Rahmen von TSE:

Eine wachsende Anzahl Journalisten bei der Rheinischen Post ist in die TSE-Methode eingebunden, und mehrere Mini-Publishing-Teams wurden eingerichtet, mit Zielgruppen wie Läufer, Wohnen und Familien, wobei weitere folgen dürften. Der zielgruppenfokussierte Inhalt hat den Datenverkehr weiblicher und jüngerer Zielgruppen um mehr als 50 % erhöht, während ein gestrafftes Verfahren zum Abo-Abschluss die Konversionsrate drastisch verbessert hat (siehe S. 62).

Haupterkenntnis durch TSE:

„In erster Linie wurde uns die Notwendigkeit klar, auf die Zielgruppen zuzugehen, mit ihnen zusammenzutreffen und sie zu verstehen. Man sollte auch keine Angst davor haben, sich quantitative Ziele zu setzen und Daten heranzuziehen, um Veränderungen zu beflügeln. Erfolge muss man feiern und sie letztlich verdoppeln!“