Schwäbisches Tageblatt begeistert mit neuem Gerichtspodcast junge und weibliche Leser

Lorenzo Zimmer (links) und Jonas Bleeser zeichnen eine Folge des Crime-Podcasts des Schwäbischen Tagblatts auf. Foto: Ulrich Metz.

Anfang 2022 brachte die in Tübingen (Südwestdeutschland) ansässige Zeitung ihr erstes Audioprodukt heraus – einen Podcast mit der Bezeichnung „Am Gericht“. Die Beiträge drehen sich um Themen in Zusammenhang mit Verbrechen und Justiz und sind insbesondere bei jungen Frauen, jungen Zielgruppen sowie aktuellen und künftigen Angehörigen der Rechtsberufe der Region äußerst erfolgreich.


Kurzinfo: Das 1945 gegründete Schwäbische Tagblatt ist eine in der Stadt Tübingen ansässige Tageszeitung, die vier weitere Niederlassungen in Baden-Württemberg in Südwestdeutschland unterhält.
Für ihre nationale Berichterstattung greift die Zeitung auf Inhalte der Südwest Presse, einer in Ulm ansässigen Tageszeitung, die eine Minderheitsbeteiligung am Schwäbischen Tagblatt hält, zurück. 2022 zählte die Zeitung rund 100 Beschäftigte und 31.600 Abonnenten der Print-Ausgabe und 3800 Abonnenten der elektronischen Ausgabe und Website.


Die Aufgabe: Schaffung eines Audioprodukts, um Angehörige der Rechts- berufe und junge Zielgruppen zu erreichen

Wie viele andere Lokalzeitungen will auch das Schwäbische Tagblatt (ST) seine digitale Transformation be- schleunigen und Zielgruppen erreichen, die die Zeitung in der Vergangenheit eher weniger gelesen haben.

Der erste Podcast des Verlags, der Anfang 2022 lanciert wurde, spielt im Rahmen dieser Bemühungen eine wichtige Rolle.

In dem monatlichen Podcast mit dem Titel „Am Gericht“ werden neue Storys in Zusammenhang mit Verbrechen und Gesetz aus der Region samt ihren allgemeinen Auswirkungen auf die Gesellschaft behandelt.

Die Entscheidung, den Podcast hauptsächlich Themen in Zusammenhang mit Verbrechen, Justiz und Gesetz zu widmen, ergab sich auf natürliche Weise durch die Interessen der Zielgruppe der Zeitung: „Uns war immer bewusst, dass eine solche Berichterstattung auf großes Interesse stößt“, erklärt Jonas Bleeser, der als Gerichtsreporter beim ST arbeitet und einer der beiden Moderatoren des Podcasts ist.

Laut Bleeser verursachten Artikel über Kriminalfälle der Region beständig hohe Zugriffsquoten im Netz. Möglicherweise noch bedeutender ist aber, dass viele Crime-Storys ebenfalls zumindest ein neues Digital-Abo generieren.

Hinzu kommt, dass sich viele Menschen in der Region aufgrund ihrer aktuellen oder künftigen beruflichen Umstände für rechtliche Themen interessieren. Jahr für Jahr sind an der juristischen Fakultät der Universität Tübingen 2500 Studierende eingeschrieben. Das Landgericht der Region befindet sich ebenfalls in der Stadt. In der benachbarten Stadt Reutlingen gibt es ein großes Polizeipräsidium.

„Wenn man die Zahl der Polizeibeamten in diesem Präsidium, all die Staatsanwälte, Jurastudierenden, Rechtsanwälte und sonstige Rechtsfachpersonen berücksichtigt, kommt man auf mehrere Tausend“, macht Bleeser deutlich. Außerdem verweist er darauf, dass das Einkommensniveau dieser Personen irgendwann so hoch sein dürfte, dass sie zu einer vielversprechenden Zielgruppe für Abos werden.

Was die Entscheidung für einen Podcast angeht, erschien dies als gute Gelegenheit, eine andere und jüngere Zielgruppe zu erreichen als die bestehende Leserschaft des ST. Auch wenn diese jüngeren Hörer erstmal kein Abo abschließen, können sie dies noch immer später in ihrem Leben tun: „Wenn sie sich in der Vergangenheit mit unserer Marke verbunden fühlten, dann hoffen wir natürlich, dass sie uns auch in Zukunft vertrauen. Außerdem ist der Podcast eine gute Möglichkeit, um einen positiven markenbezogenen Kontakt herzustellen.“

Die Podcast-Folgen sollen ebenfalls das Interesse an Crime-Storys auf der Website des ST fördern. Da die meisten Inhalte hinter der Bezahlschranke sind, wird dies die neuen Zielgruppen hoffentlich ermutigen, ein Abo abzuschließen.

Entscheidungen: Konzept und Workflow überarbeiten und Sponsoren suchen

Obschon Bleeser bereits Gast bei einem anderen Crime-Podcast war („Akte Südwest“), stellte „Am Gericht“ das erste interne Audio-Projekt des ST dar, sodass der erste Schritt in der Beschaffung der richtigen Ausrüstung bestand. Dies übernahm der IT-Leiter des Verlags, der noch immer für die technische Unterstützung des Podcasts zuständig ist.

Bleeser, der den Podcast als sein „Herzensprojekt“ bezeichnet, übernimmt die Bearbeitung. Dabei verweist er ausdrücklich auf ein Post-Produktionstool mit der Bezeichnung Auphonic, das die Tonqualität einer Aufnahme automatisch optimiert. Das war übrigens ein Tipp, den uns die Zielgruppe nach einigen Folgen gab. „Einer unserer Hörer sagte uns, dass unsere Tonqualität wirklich schlecht sei, und fragte uns, warum wir nicht Auphonic verwendeten. Ich antwortete, super, ja natürlich werden wir das machen.

Vielen Dank für den Hinweis!“

Der typische Workflow einer Folge sieht so aus, dass Bleeser zunächst ein Thema und von ihm geschriebene verwandte Artikel auswählt und diese Lorenzo Zimmer, einem Redakteur des ST und Co-Moderator des Podcasts, vorlegt. Gemeinsam bereiten sie einige Gesprächsthemen und ein allgemeineres Thema vor, das sie anhand der jeweiligen Fälle behandeln wollen.

„Jeder Kriminalfall, über den wir berichten, ist auch mit einem gewissen ‚Meta‘-Thema verbunden“, macht Bleeser deutlich. „Wenn wir über Strafsachen zwischen Auto- und Radfahrern sprechen, würden wir auch den Konflikt zwischen diesen beiden Gruppen allgemein behandeln und deutlich machen, warum auch andere Themen wichtig sind, etwa ob Autos zu viel Platz auf unseren Straßen beanspruchen oder Maßnahmen und Verhaltensweisen gegen den Klimawandel usw.“

Die beiden Moderatoren nahmen die ersten Folgen ohne Skript auf, haben aber auch mit einer detaillierten, vor der Aufnahme verfassten Vorlage experimentiert.

Bei den letzten Folgen verwendeten sie eine Art Kompromisslösung, wobei die Unterhaltung zwar spontan, aber nach einer Struktur verlief.

„Wir versuchen es nun mit Mindmaps und entscheiden noch vor der Aufnahme, worüber wir sprechen wollen, wie wir den Fall schildern und wann wir auf die über den Fall hinausgehenden Aspekte zu sprechen kommen“, verdeutlicht Bleeser.

„Unser IT-Chef sagt immer, dass wir so klingen müssen, als ob wir auf der Rückbank meines Autos über den Fall sprechen. Natürlich wollen wir nicht nur unterhalten, sondern auch erklären, wie das Rechtssystem funktioniert, welchen Regeln es unterliegt und warum diese wichtig sind usw.“

Auf die Frage nach den Rückmeldungen der Zielgruppe erklärt Bleeser, dass die Kommentare und Bewertungen von Anfang an positiv gewesen seien. Darüber hinaus waren die ersten beiden Folgen unter den Top 50 der Spotify-Rangliste, während die erste Folge alleine über 1800 Hörer erreichte. „Das war natürlich äußerst motivierend. Wir wären aber schon mit 300 oder 400 zufrieden gewesen!“

Was sich jedoch schwieriger als erwartet erwies, war die Suche nach Sponsoren. Zwar hatte das Team einige konkrete Ideen beleuchtet (wie eine Versicherung, die ein Rechtsschutzprodukt bewerben könnte), doch laut Bleeser dauert es eine Zeit, um große Unternehmen davon zu überzeugen, in einem neuen Podcast zu werben.

Aktuell hat der Podcast einen Sponsor, und zwar ein lokales Theater, das für ein Stück Werbung machte, in dem Hochstapler ihr Umfeld mit vorgespieltem Erfolg und Reichtum täuschten. Das Theater wird auch bei späteren Folgen wieder als Sponsor auftreten, während das Team für die nächsten drei Folgen eine Krankenversicherung als Sponsor verpflichtet hat.

Ergebnis: Erreichung einer Zielgruppe jenseits der üblichen Leserschaft der Zeitung

Was die Einschaltquoten angeht, so zählt der Podcast über 2600 regelmäßige Hörer über Spotify und Apple. Hinzu kommen die Nutzer, die direkt über die ST-Website zuhören (über 4500 Wiedergaben in den letzten drei Monaten). Bleeser zufolge geben die Daten jedoch keinen Aufschluss darüber, wie viele von diesen Nutzern den Podcast regelmäßig hören.

Bei genauerem Blick auf die Statistiken zeigt sich laut Bleeser, dass gemäß den detaillierten Spotify-Hörerdaten zwei Drittel der Podcast-Hörer Frauen sind. Zudem sind zwei Drittel jünger als 45. Das Gefälle gegenüber den üblichen Lesern der Zeitung, die „zumeist älter als 65“ sind, ist Bleeser zufolge beträchtlich.

„Das ist tatsächlich ein jüngeres Publikum als die Stammleser unserer Zeitung. Und genau deswegen tun wir das. Wir wollen Menschen erreichen, die mit der Zeitung noch gar nichts anfangen können.“

Bleeser macht ebenfalls deutlich, dass sich der Podcast positiv auf seine tägliche Arbeit als Gerichtsreporter ausgewirkt habe. So habe sich gezeigt, dass viele Rechtsfachpersonen in Tübingen regelmäßige Hörer seien und ihn nun durch den Podcast wiedererkennen.

„Wenn ich bei Gericht bin, spreche ich viel mit Rechtsanwälten, Staatsanwälten und Richtern. Wenn ich bisweilen einen jungen Anwalt treffe, den ich noch nicht kenne, sagt der nur: ‚Aha, Sie sind doch der Typ vom Podcast!‘“, freut sich Bleeser. „Manchmal öffnet mir das Türen, wenn Menschen den Podcast und meine Stimme kennen.“

„Ich frage sie dann immer, ob ihnen der Podcast gefällt. Die meisten von ihnen mögen ihn deswegen, weil die ganzen rechtsbezogenen Geschichten der Wahrheit entsprechen. Wir versuchen, so akkurat wie möglich zu berichten, sodass auch Rechtsvertreter erkennen, dass wir eine gute journalistische Arbeit mit hoher Präzision liefern. Und das schätzen sie wirklich.“

Jenseits seiner unmittelbaren Zielgruppe erhält „Am Gericht“ aber auch eine andere Form der Anerkennung: So war der Podcast Finalist in der Audio-Kategorie der European Digital Media Awards 2022 der WAN-IFRA.

Für das Team der Crime-Zielgruppe geht es im Herbst 2022 mit einem Newsletter weiter, der für den Podcast werben und Artikel des ST über Recht und Ordnung ent- halten soll. „Natürlich hoffen wir, dass Leser des Newsletters auf unserer Website viele interessante Inhalte finden und vielleicht ein Abo abschließen.“

 

Leistungen im Rahmen von TSE:

Neben der Zielgruppe für Recht und Ordnung richtete das Schwäbische Tagblatt zwei weitere Mini-Publisher-Teams für Gourmets und Menschen unter 25 ein. Ebenso schufen sie ein Team für eine Pop- up-Zielgruppe in Zusammenhang mit lokalen Bürgermeisterwahlen. Der Verlag bekennt sich zur Table Stakes-Methodik, und TSE ist nun im Unternehmen längst keine Unbekannte mehr.

Haupterkenntnis durch TSE:

„Mir gefällt wirklich diese Philosophie, sich auf das Notwendigste zu beschränken. Ich bin überzeugt, dass dies für uns eine wichtige Erkenntnis darstellt, dass wir nicht alles überanalysieren und überplanen müssen, bevor wir loslegen. Einfach machen und durch Ausprobieren lernen. Das ist für mich eine großartige Erkenntnis.“