Zielgruppengerechte Themenplanung erhöht das Engagement unter Berufsanfängern

Der in Großbritannien ansässige Verlag plante die Einführung eines neuen Ansatzes für die Berichterstattung über Themen, die für Menschen von Anfang 20 bis Ende 30 relevant sind. Das Ergebnis – Quarter Life, eine Serie von Artikeln für Berufseinsteiger – hat beispielhaft vor Augen geführt, welche Wirkung zielgruppenorientierter Journalismus hat.


Kurzinfo: The Conversation ist eine digital native, gemeinnützige Nachrichtenorganisation, die Storys aus Wissenschaft und Forschung veröffentlicht. Basierend auf der Überzeugung, dass faktengestützte Informationen von Experten zugänglich sein sollten, werden ihre Inhalte mit einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht und können kostenlos weiterverbreitet werden.

Das globale Netzwerk von The Conversation umfasst Ausgaben in Australien, Großbritannien, den USA, Kanada, Frankreich, Afrika, Spanien und Indonesien. Insgesamt zählt sie eine Leserschaft von 1 Milliarde (200 Millionen für die britische Ausgabe) und vernetzt 70.000 wissenschaftliche Autoren. Finanziert wird sie von Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Stiftungen und Spenden von Lesern.


Von Khalil A. Cassimally

  • 60% mehr Anteil bei Lesern in Großbritannien
  • 45-50 % mehr Abschlüsse

Diese Zahlen zeigen, welch gewaltige Wirkung ein zielgruppenorientierter Ansatz bei der Content-Veröffentlichung entfalten kann.

Darüber hinaus belegen sie, wie das Verständnis für unsere Leser dazu beitragen kann, relevantere Artikel für sie zu veröffentlichen und gleichzeitig unsere Reichweite zu erhöhen.

Im März 2022 begann ein in Großbritannien ansässiges Team von The Conversation, mit einem anderen Ansatz für die Themenplanung zu experimentieren.
Statt unseres typischen redaktions-/themenorientierten

Ansatzes begann das Team, Storys mit einer bestimmten Zielgruppe im Hinterkopf in Auftrag zu geben. Das Team war funktionsübergreifend und umfasste Redakteure
und Fachleute für Zielgruppenentwicklung. Niemand von uns hatte viel Erfahrung mit dieser zielgruppenorientierten Herangehensweise. Außerdem war es das erste Mal, dass dieser Ansatz innerhalb von The Conversation in dieser Größenordnung umgesetzt wurde.

So begannen wir, mit begrenzter Erfahrung und begrenz- ten Ressourcen zielgruppengerechte Artikel zu veröffent- lichen. Gleichzeitig gaben wir anderen Redaktionen, die für ihre Leserschaft ebenfalls relevanter werden wollten, Tipps.

Entdeckungsphase

Unser Ziel in dieser Phase bestand darin, sich auf eine Zielgruppe zu einigen und ein funktionsübergreifendes Team ins Leben zu rufen, das diese Zielgruppe versteht und mit Inhalten bedient.

Um über die Zielgruppe zu entscheiden, brachten wir Menschen aus zahlreichen Teams (Leadership, Mitgliedschaft, Redaktion, Zielgruppe) zusammen. Eine derart frühzeitige Einbindung in den Prozess erwies sich als extrem vorteilhaft. Sie erhöhte das kollektive Vertrauen in unsere Entscheidung und das, was wir tun würden.

Im Anschluss richteten wir ein Team ein, dem sowohl Redakteure als auch Fachleute für Zielgruppenentwicklung angehörten.

Am Ende dieser Startphase hatten wir beschlossen, uns auf Berufseinsteiger (von Anfang 20 bis Ende 30) in Großbritannien zu konzentrieren. Unser funktionsübergreifendes Team umfasste ein halbes Dutzend Redakteure und einige Fachleute für Zielgruppenentwicklung, die 20 % ihrer Zeit damit verbrachten, diese Zielgruppe zu verstehen und zu bedienen.

Phase 1: Langsamer Einstieg

Unser Ziel für diese Phase war, das Team mit dem Konzept der Zielgruppen vertraut zu machen und die Infrastruktur für die Unterstützung des Teams zu schaffen (Think Dashboards, Kompetenzen usw.).

Der zielgruppenfokussierte Ansatz für Content-Veröffentlichung war für die meisten Teammitglieder Neuland. Tatsächlich reflektierten Redakteure über Zielgruppen, wenn sie Storys in Auftrag gaben und bearbeiteten. Gleichwohl ließe sich getrost behaupten, dass Zielgruppen nicht unbedingt systematisch berücksichtigt wurden.

Um das Konzept einzuführen und den Wert einer Fokussierung auf eine kleine Teilmenge unseres Publikums zu erläutern, benutzen wir folgendes Denkmuster:

  • Was versuchen wir zu erreichen? Inhalte erstellen, die für Menschen einen größeren Mehrwert mit sich bringen.
  • Wie erstellen wir Inhalte, die Menschen einen noch größeren Mehrwert verschaffen? Menschen besser verstehen.
  • Wie verstehen wir Menschen besser? Einräumen, dass viele Menschen nur schwer zu verstehen sind, weil sie auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Interessen und Problemen konfrontiert sind. Allerdings ist es einfacher, eine kleinere Gruppe von Menschen sehr gut zu verstehen
    – insbesondere wenn diese gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen.
  • Wie lässt sich eine kleine Gruppe von Menschen besser verstehen? Nutzer unserer Zielgruppe ana- lysieren.
  • Wie wissen wir, dass wir Inhalte erstellen, die für Menschen noch wertvoller sind? Hier sind aussagekräftige Kennzahlen wie Aboabschlüsse und nicht die reinen Seitenzugriffe ausschlaggebend.

Anschließend schufen wir die Infrastruktur zur Unterstützung des Teams. Hierzu gehörte die Einrichtung eines kleinen und einfachen Dashboards mit nur zwei Kennzahlen: Abschlüsse und Bleibequote. Diese Kennzahlen waren aussagekräftig und verschafften uns Klarheit zu der Frage, ob wir die Weichen für den Erfolg gestellt hatten oder nicht. Ebenso ermöglichten sie uns, die Tiefe und Breite der Nutzereinbindung anhand unserer zielgruppengerechten Artikel zu überwachen, die uns sagten, für wie wertvoll die Nutzer die Artikel hielten.

Am Ende dieser Phase hatte das Team mit der Veröffentlichung von Quarter Life und damit einer Serie von Artikeln über Berufseinsteiger in Großbritannien begonnen.

Phase 2: Bedürfnisse der Benutzer

Unser Ziel in dieser Phase bestand darin, dem Team Erkenntnisse über die Zielgruppe zu vermitteln, die es der Themenplanung künftig zugrunde legen konnte.

An diesem Punkt setzt das Modell der Nutzerbedürfnisse an. Grundlage unserer zielgruppengerechten Artikel ist ein besseres Verständnis der Bedürfnisse der Zielgruppe und der Bedienung dieser Bedürfnisse.

Über dieses Modell wurde bereits viel geschrieben. Ein Beispiel ist Dmitry Shishkins Beitrag über Nutzerbedürfnisse und den großen Nutzen für Redaktionen; mein Beitrag dazu, wie The Conversation Nutzerbedürfnisse 2021 verwendete, um unseren klimainteressierten Lesern einen Mehrwert zu verschaffen; mein Beitrag über den Decision-First-Ansatz bei der Nutzerforschung.

Am Ende dieser Phase veröffentlichte das Team zielgruppengerechte Artikel. Wir fanden heraus, dass Quarter Life-Artikel einen höheren Anteil an in Großbritannien ansässigen Lesern, mehr Abschlüsse und mehr Seiten- aufrufe mit sich brachten als alle anderen Artikel.

Phase 3: Skalieren und verbreiten

Unser Ziel in dieser Phase ist, mehr Redakteure für dieses Projekt zu gewinnen und den zielgruppenorientierten Ansatz systematischer für die Produktentwicklung zu nutzen sowie Vertriebspartner für Quarter Life zu finden.

Außerdem werden wir das Ausmaß ausloten, in dem sich der Ansatz für die Content- und Produktentwicklung auf die Monetarisierung der User auswirkt. The Conversation ist optimistisch. Regelmäßigen Mehrwert zu schaffen führt zu besserer Monetarisierung. Außerdem belegen die Daten, dass zielgruppengerechte Artikel für Menschen wertvoller sind.

Wir hoffen, dass die britische Redaktion von The Conversation bis zum Jahresende mehrheitlich, wenn auch nicht durchweg zielgruppengerechte Artikel veröffentlichen wird.

Wird berücksichtigt, dass die Autoren von The Conversation allesamt Wissenschaftler und Forscher sind, beinhalten diese Artikel bewährte Informationen von Experten, die dank der Redakteure in verständlicher Sprache dargelegt und für die Leser ungeheuer wertvoll sind. Eine Win-win-win-Situation!

 

Leistungen im Rahmen von TSE:

Neben Quarter Life plant The Conversation, TSE und den auf Nutzerbedürfnissen basierenden Ansatz auf ihr Umweltteam und andere Teams in ihrem globalen Netzwerk auszudehnen. Ebenso brachte sie ein E-Book über die potenziellen globalen Auswirkungen rechtlicher Veränderungen an Reproduktionsrechten in den USA für Nicht-US-Feministinnen heraus und bemühte sich um Feministinnen als Zielgruppe. Außerdem stellt sie einen Ressourcensatz mit Unterrichtsmaterial für Lehrkräfte der Sekundarstufe II in Großbritannien zusammen.

Haupterkenntnis durch TSE:

„TSE hat uns eine Methodologie an die Hand gegeben, mit der wir unsere Redak- tionen näher an unsere Zielgruppen heranführen können. Es funktioniert, ist skalierbar und hat sogar den Teamgeist in unseren Redaktionen beflügelt.“