Wie aus einer Sozialreform eine Audience für L’Opinion entstand

Das ursprüngliche Ziel der Tageszeitung für das TSE-Projekt war, die digitale Transformation zu beschleunigen und das 10-jährige Jubiläum zu nutzen, um die Zahl der Digital-Abonnenten zu erhöhen. Als die Nachrichtenagenda jedoch ihren Fahrplan durcheinanderbrachte, machte das TSE-Team von L’Opinion schnell eine neue Audience aus – Menschen, die das Beste aus ihren letzten 15–20 Erwerbsjahren machen wollen.


L’Opinion ist eine 2013 gegründete französische Tageszeitung mit Schwerpunkt auf Politik, Wirtschaft und internationalen Nachrichten. Das Blatt richtet sich speziell an „Key Influencer“: CxO, Politiker, Investoren und Meinungsführer. L’Opinion hat eine tägliche Print-Auflage von 39.000 Exemplaren und beschäftigt 40 Mitarbeiter, darunter 30 Journalisten.


Im Januar 2023, als das TSE-Team von L‘Opinion gerade die Feinabstimmung seines Projekts vornahm, verabschiedete die französische Regierung eine Rentenreform. Mit dieser wurde das Ruhestandsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben.

Auf diese Ankündigung folgten wochenlange massive Proteste und hitzige Parlamentsdebatten. Das intensiv mit politischen und wirtschaftlichen Themen befasste Redaktionsteam von L’Opinion war mittendrin. Innerhalb des TSE-Projektteams wurde die Auseinandersetzung mit dieser Reform und die Berücksichtigung der Bedürfnisse der entsprechenden Audience zu einem zentralen Anliegen.

Fast 58 % der digitalen Nutzer der Zeitung sind über 44 Jahre alt. Etwas mehr als die Hälfte der bestehenden Abonnenten fällt ebenfalls in diese Alterskategorie (das Durchschnittsalter der Neuabonnenten im Jahr 2023 lag bei 48 Jahren). Auch wenn der Renteneintritt noch in weiter Ferne liegen mag, gehen viele Arbeitgeber mit ihren über 50-jährigen Beschäftigten anders um als mit jüngeren Mitarbeitern. So entwickelte sich durch die französische Rentenreform rasch eine breite Diskussion über die Frage, wie sich die Denkweise in den Unternehmen ändern lässt und wie erfahrene Arbeitskräfte die Kontrolle über ihr Berufsleben zurückgewinnen können.

Rémi Godeau, Chefredakteur von L’Opinion und Vizepräsident von Bey Médias, fasst die Situation so zusammen: „Fast 2 Mio. Menschen unserer potenziellen Audience sind oder werden von dieser Reform betroffen sein: Was können wir ihnen anbieten?“

X.O.: Newsletter für Fach- und Führungskräfte im fortgeschrittenen Berufsleben

Rémi Godeau hat sich persönlich in dieses für die Redaktion von L’Opinion eher untypische Projekt eingebracht. Er formulierte eine redaktionelle Mission und fand einen Titel für den Newsletter, der jeden Freitag diese Ziel-Audience ansprechen sollte: „Wir haben beschlossen, unseren Newsletter X.O. wie ‚eXtra Old‘ zu nennen, eine Qualitätsstufe für Cognac, der mit dem Alter immer besser wird. X steht dabei für ‚Experience‘ (Erfahrung) und O für ‚Optimum‘, mit einer Anspielung auf den Anfangsbuchstaben von L’Opinion.“

„Unser Versprechen ist, dass die Lektüre von X.O. dazu beiträgt, die letzten 15–20 Jahre des Erwerbslebens in beruflicher und persönlicher Hinsicht zu optimieren – ohne Stress! Er soll nützliche und inspirierende Informationen für einen erfüllenden Karriereausklang und originelle Analysen zu Management, Vermögensfragen, Gesundheit usw. enthalten“, so Rémi Godeau.

Die erste Reaktion der Journalisten war eher skeptisch: Welche Themen könnten diese Audience interessieren? Müssten die Reporter die Ressorts aufgeben, über die sie bisher berichteten? L’Opinion veröffentlicht jedoch bereits viele Inhalte, die diese Audience interessieren könnten.

Die Challenge für die Journalisten bestand eher darin, beim Schreiben ihrer Artikel auf die Bedürfnisse der X.O.-Audience einzugehen.

Darüber hinaus arbeitet das Blatt mit dem Wall Street Journal zusammen, was das Themenspektrum erweitert. Rémi Godeau hat auch einen freien Journalisten in das Projekt eingebunden, der einen originellen Blickwinkel auf Veränderungen im privaten und beruflichen Leben, auf Unternehmertum mit 50+ usw. einnehmen soll.

Schließlich setzte das Team auf eines der TSE-Instrumente, nämlich den Aufbau von Partnerschaften. Eine wichtige Einrichtung, die APEC (Association pour l’emploi des cadres), hat die Optimierung des Endes der beruflichen Laufbahn zu ihrem Hauptanliegen für die kommenden Jahre erklärt.

Rémi Godeau und Cécile Desjardins, die für Veranstaltungen zuständige Chefredakteurin von L’Opinion, haben die erste X.O.-Konferenz mit finanzieller Unterstützung der APEC ins Leben gerufen. Der nächste Schritt wäre nun, sie in den Newsletter einzubeziehen, vielleicht in Form einer von deren Experten verfassten thematischen Serie.

Der neue Newsletter hat schnell seine Audience gefunden: Stéphanie Elorin, Marketingleiterin, und ihre Teamkollegen Nolwenn Benmamar und Lucie Debray sagen, dass X.O. bereits der in Bezug auf Öffnungsrate und Reaktivität best-performende Newsletter von L‘Opinion ist. Er nähert sich der Marke von 5.000 Abonnenten. Benjamin Gentil als Verantwortlicher für Verlagsprodukte und Raphaël Proust als Leiter des Digital-Ressorts werden den Newsletter auch auf LinkedIn veröffentlichen, um seine Sichtbarkeit zu erhöhen.

Die gute Performance von X.O. warf Fragen zu den anderen Newslettern des Verlags auf: die Abstimmung der Inhalte auf die angestrebte Audience, die Form, der Ton und die Gestaltung.

In den Sommermonaten überarbeitete das Team die Positionierung von zwei zentralen Newslettern, einem zum Thema Steuern und einem zu Europa. Diese wurden stärker personalisiert und mit Empfehlungen von Fachjournalisten aus diesen Bereichen angereichert. Die ersten Ergebnisse zeigten eine Zunahme des Interesses der Abonnenten – ein vielversprechendes Zeichen, auf dem in den kommenden Monaten aufgebaut werden kann.

Einführung der digitalen Organisation, Verbesserung der Abo-Tools

Im Laufe des TSE-Jahres durchlebte L’Opinion  einige Umwälzungen, die bei den Audience-Projekten und dem Umbau der Redaktion eine Rolle spielen werden.

Zu diesen Maßnahmen gehörten die vollständige Überarbeitung der digitalen Plattformen und die Einführung einer neuen Paywall-Lösung (Piano) mit all den neuen Funktionen. Diese dienen der Analyse, der Orchestrierung der Customer Journeys, der Personalisierung von Inhalten und vielfältigen Möglichkeiten zum Testen kommerzieller Angebote. In Zusammenarbeit mit Guillaume Tardy, dem Verantwortlichen für den Digitalbereich der Gruppe, werden Stéphanie Elorin und ihr Team 2024 alle neuen Möglichkeiten testen können.

Das Hauptziel des TSE-Teams bestand in den letzten Monaten darin, auf Kurs zu bleiben und die Priorität des Digitalen in der Redaktion zu verankern, um sich von den alten Zwängen der Print-Medien zu befreien.

„Die morgendliche Redaktionssitzung beginnt mit einer Überprüfung der Audience-Daten. Dann entscheiden wir über die Artikel, die in den Newslettern um 13 und 18 Uhr ganz oben stehen, noch bevor wir die Titelseite der Print-Zeitung besprechen. Unser nächster Schritt besteht darin, uns den ganzen Tag über auf die digitale Audience zu konzentrieren und uns erst am Ende des Tages um das Print-Produkt zu kümmern“, erklärt Rémi Godeau.

Parallel dazu gibt Benjamin Gentil den Journalisten eine Toolbox mit digitalen Helferlein zur Hand, die ihre Arbeit und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Redaktionsdiensten erleichtern können: „Der Arbeitstag der Journalisten muss möglichst reibungslos vonstattengehen und effizienter werden, damit sie sich auf den Takt der digitalen Produktion konzentrieren können“, sagt er. „Unsere Toolbox soll sie bei ihren verschiedenen Aufgaben unterstützen.“